Entwurf eines Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021
I. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende Oktober 2021
Durch Starkregen und Hochwasser im Juli 2021 sind bei vielen Unternehmen in den betroffenen Gebieten zum Teil erhebliche Schäden und längerfristige Betriebsunterbrechungen entstanden. Unternehmen, die hierdurch in finanzielle Nöte geraten sind, will die Bundesregierung nun ungeachtet sog. Soforthilfen etc. auch in insolvenz(straf-)rechtlicher Sicht unterstützen.
Dazu hat sie am 04.08.2021 einen Gesetzentwurf verabschiedet, der – dem Vorbild der gesetzgeberischen Maßnahmen im Kontext der Corona-Pandemie entsprechend – eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Betriebe vorsieht, die von der Hochwasserkatastrophe betroffen sind.
Den geschädigten Unternehmen soll hierdurch ausreichend Zeit eingeräumt werden, um die notwendigen Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen zu führen. Eine mögliche Insolvenz kann z.B. durch öffentliche Hilfen oder Versicherungsleistungen verhindert werden.
II. Seit dem 01.01.2021 geltende Insolvenzantragspflichten
Nach § 15a InsO müssen die Mitglieder des Vertretungsorgans von juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit bei Zahlungsunfähigkeit innerhalb von drei Wochen und bei Überschuldung innerhalb von sechs Wochen einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen.
Die Sechs-Wochen-Frist im Hinblick auf die Überschuldung (und nur hier) gilt seit dem 01.01.2021 und wurde durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) eingeführt. Bis dahin hatte ein Insolvenzantrag per se spätestens drei Wochen nach Eintritt eines der Insolvenzeröffnungsgründe aus §§ 17, 19 InsO zu erfolgen. Durch das SanInsFoG ist für Überschuldungssituationen damit eine Verdoppelung der Frist erfolgt, mit dem Ziel, außergerichtliche Verhandlungen zur Behebung der Insolvenz erfolgreich führen und noch vor Ablauf „der letzten Chance auf Straffreiheit“ (den bisherigen drei Wochen) zum Abschluss bringen zu können. Zudem sollen präventive Restrukturierungsmaßnahmen oder auch eine Eigenverwaltung sorgfältig und umfassend vorbereitet werden können, was innerhalb von drei Wochen oft nicht möglich war.
III. Aussetzung der Insolvenzantragspflichten im Kontext der Flutkatastrophe
Der Gesetzesentwurf sieht nun vor, die Insolvenzantragspflicht für vom Hochwasser betroffene Unternehmen unter folgenden Voraussetzungen vorübergehend auszusetzen:
- Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung muss auf den Auswirkungen der Starkregenfälle bzw. des Hochwassers beruhen.
- Es bestehen aufgrund ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen eines Antragspflichtigen begründete Aussichten auf Sanierung.
Die Insolvenzantragspflicht soll in diesen Fällen rückwirkend ab dem 10. Juli 2021 bis zum 31. Oktober 2021 ausgesetzt werden. Der Gesetzesentwurf sieht jedoch die Möglichkeit einer Verlängerung dieser Regelung bis zum 31. März 2022 vor.
Entgegen den im Zuge der Corona-Pandemie bereits ergangenen Erleichterungen zu den Insolvenzantragspflichten darf sich das betroffene Unternehmen dem Gesetzesentwurf vom 04.08.2021 zufolge durchaus auch vorher schon in „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ befunden haben. Dies gilt allerdings nur, soweit lediglich solche wirtschaftliche Schwierigkeiten bestanden, die für sich genommen noch keine Insolvenzantragspflicht begründen. Eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung darf damit noch nicht vorgelegen haben.
IV. Strafrechtliche Auswirkungen
Das Risiko einer Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4, 5 InsO) würde durch die Neuregelung zeitweise entfallen. Nach §15a Abs. 4 StPO wird bestraft, wer einen Eröffnungsantrag nicht, nicht rechtzeitig oder nicht richtig stellt. Nach der Neuregelung besteht für die betroffenen Unternehmen aber vorerst keine Pflicht mehr zur Insolvenzantragstellung und somit (befristet) auch kein Strafbarkeitsrisiko wegen Insolvenzverschleppung.
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sich der Gesetzentwurf aktuell noch im Gesetzgebungsverfahren befindet. Eine (rückwirkende) Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und die ab diesem Zeitpunkt greifende Aussetzung auch von Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken greift erst ab Verkündung des Gesetzes.
Zudem existieren neben §15a Abs. 4, 5 StPO weitere Insolvenzdelikte, die durch die geplante Neuregelung nicht suspendiert werden.
- So ist bspw. eine Strafbarkeit wegen Bankrotts (§ 283 StGB) weiterhin möglich. Denn durch die Neuregelung soll lediglich die Pflicht zur Insolvenzantragstellung entfallen, nicht aber der Eintritt einer Überschuldung und/oder einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit insgesamt. Daher ist der Eintritt der in §§ 283 StGB ff. tatbestandlich vorausgesetzten strafrechtlich relevante Krise weiter möglich. Die in den Bankrottdelikten gem. §§ 283 ff. StGB vorgesehene objektive Bedingung der Strafbarkeit (Eröffnung des Insolvenzverfahrens / Ablehnung mangels Masse) ist ebenfalls nicht per se ausgeschlossen: Auch wenn der Schuldner temporär nicht verpflichtet ist, einen Insolvenzantrag zu stellen, darf, kann und sollte er dies trotzdem tun, wenn bereits absehbar ist, dass staatliche Hilfen nicht ausreichen werden, um das Unternehmen zu retten, oder auch wenn Produktionsanlagen oÄ derart zerstört wurden, dass an einen absehbaren Wiederaufbau des Unternehmens nicht zu denken ist.
Mit anderen Worten: Wird im Aussetzungszeitraum Insolvenzantrag gestellt, hat sich der Schuldner in seinem Verhalten an den Maßgaben der §§ 283 ff. StGB zu orientieren, deren Hauptaufgabe es ist, das schuldnerische Vermögen vor Beeinträchtigungen zu schützen.
- Auch das im Rahmen einer Unternehmenskrise stets bestehende Risiko einer Strafbarkeit wegen Eingehungsbetrugs (§ 263 StGB) wird durch die beabsichtigte Neuregelung nicht beeinflusst. Da der Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit weiterhin möglich ist, kann bei Abschluss von Verträgen auch über die Leistungsfähigkeit und -willigkeit getäuscht werden – bzw. ein solcher Vorwurf von Lieferanten erhoben werden.
- Gleiches gilt für die Straftatbestände der Untreue (§ 266 StGB) und des Veruntreuens von Arbeitsgeld (§ 266a StGB = Nichtabführung von Sozialabgaben), wobei für letztere Stundungsanträge gestellt werden können.
Betroffene Unternehmen sollten daher trotz allen Widrigkeiten, denen sie sich ohnehin bereits ausgesetzt sehen, strafrechtliche Risiken im Blick behalten und nicht dem Glauben erliegen, der Gesetzgeber habe sämtliche insolvenzspezifischen Strafbarkeitsrisiken suspendiert. Verhandlungen über staatliche und weitergehende wirtschaftliche Hilfen sollten ebenso hinreichend dokumentiert werden, wie die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation insgesamt, um im Fall der Fälle belegen zu können, dass die Voraussetzungen des Gesetzesentwurfs vom 04.08.2021 gegeben waren und daher kein Insolvenzantrag gestellt werden musste.