Keine Durchsicht von zur Durchsicht mitgenommenen Beweismitteln – Zur Rechtswidrigkeit der Durchsuchung bei späterem Wegfall des Anfangsverdachts

In der 16. Ausgabe des Juris PraxisReports Strafrecht haben wir uns mit dem Beschluss des Landgericht Nürnberg-Fürth vom 27.05.2022 – 12 Qs 24/22 beschäftigt. 

In dieser praxisrelevanten Entscheidung befasst sich das Landgericht Nürnberg-Furth mit den Folgen des nachträglichen Wegfall eines Anfangsverdachts im Nachgang zu einer bereits durchgeführten Durchsuchung und den Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Durchsicht von schriftlichen Unterlagen, die im Rahmen dieser Durchsuchung nach § 110 StPO mitgenommen wurden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hat die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs ein Ermittlungsverfahren gegen einen Arzt geführt. Tatvorwurf war die Abrechnung von entweder gar nicht oder nicht selbst, d.h. nicht in der Person erbrachten Leistungen an Kassenpatienten. Am 17.12.2021 erließ das Amtsgericht Nürnberg durch den Ermittlungsrichter einen Durchsuchungsbeschluss, unter anderem für die Praxisräume des beschuldigten Arztes. Der für die Durchsuchung erforderliche Anfangsverdacht wurde auf Auskünfte der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern gestützt, bei denen der Beschuldigte zu Unrecht abgerechnet haben soll, sowie einer Zeugenaussage einer Patienten, wonach der beschuldigte Arzt eine an ihr nicht erbrachte Behandlung abgerechnet haben soll. Am 28.04.2022 fand die Durchsuchung der Praxisräume statt, im Rahmen derer die Ermittlungsbehörden diverse schriftliche Unterlagen – unter anderem auch die relevanten Patientenakten – zur Durchsicht mitnahmen. 

Der Verteidiger des Beschuldigten legte am 28.04.2022 erfolgreich Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ein. Zwar sei das Beschwerdegericht bei der späteren Überprüfung des Durchsuchungsbeschlusses an die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses gebunden. Werden aber im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens neue Beweismittel vorgelegt, die den ursprünglich angenommenen Anfangsverdacht wieder beseitigen, sei auch die Fortführung der Durchsuchung, in diesem Fall in Form der Durchsicht der aufgefundenen und sichergestellten Unterlagen, rechtswidrig. Eine Durchsuchung diene nicht dazu, Tatsachen herbeizuschaffen, die einen Anfangsverdacht erst begründen. Vielmehr erfolge sie, um einen bereits bestehenden Tatverdacht zu belegen.

Dr. Nikolaus Rixe und Annika Staack stellen die Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth in der 16. Ausgabe des juris PraxisReports Strafrecht ausführlich dar. Der vollständige Beitrag ist hier abrufbar. 

Dr. Nikolaus Rixe ist ständiger Autor des juris PraxisReports Strafrecht und hat in diesem Rahmen folgende Entscheidungen verfasst:

  • Fall der notwendigen Verteidigung i.S.v. § 140 Abs. 2 StPO wegen drohender Einziehung“ (gemeinsam mit Isabel Felder), jurisPR-StrafR18/2021, abrufbar unter https://www.juris.de/perma?d=jpr-NLSF000008821
  • Einziehung von Taterträgen und Vermögensarrest – normative Grenzen im Lichte des § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB. Lohnt sich Verbrechen etwa doch?“ (gemeinsam mit Isabel Felder), in: jurisPR-StrafR23/2021 Anm. 2; abrufbar unter https://www.juris.de/perma?d=jpr-NLSF000011121
  • Einziehung von aus Ersparnissen herrührenden Vermögensvorteilen bei Dritten – Neues zum Bereicherungszusammenhang im Kontext des § 73b Abs. 2 StGB? (gemeinsam mit Annika Staack), in: jurisPR-StrafR05/2022 Anm. 2, abrufbar unterhttps://www.juris.de/perma?d=jpr-NLSF000001822